Nichts weniger als alles fordern – In Erinnerung an Kyriakos Xymitiris

[english below]

Wenn hier die Straßen sprechen könnten,
dann würden sie von Diskussionen, begleitet vom blauen Rauch des Tabaks, erzählen
und sich dabei mit Schlappen in einen Plastikstuhl setzen.

Wenn hier die Straßen sprechen könnten,
dann würden sie mit deiner Stimme die Geschichte der kämpfenden Projekte erzählen, der Selbstorganisierung und Breite einer Bewegung
bevor, während und nachdem der „Krieg gegen das Virus“ sich anschickte, die Leben in den Metropolen zu formieren.

Wenn hier die Straßen sprechen könnten,
dann würden sie davon erzählen, wie du den Phoenicurus ochruros in die Hände nahmst
und ihr euch verbunden habt, diesen Ort mit ganzem Herzen und beiden Händen zu verteidigen.

Wenn hier die Bäume sprechen könnten,
dann würden sie davon erzählen, wie ihre Blätter im lauernden Licht des Gartens erstrahlten,
während du mit der Liebe auf den Schultern, im oder neben dem Takt der treibenden Musik,
in den Abendhimmel riefst.

Wenn hier die Bäume sprechen könnten,
dann würden sie vom Alltag erzählen, vom Genuss des Kaffee, einem Essen spät in der Nacht, und von den vielen Türen,
die Räume der Gemeinschaft und des ruhigen Moments verbinden.

Wenn hier die Bäume sprechen könnten,
dann würden sie davon erzählen, wie du den Feuerlöscher fest in die Hände nahmst
mit zitternden Händen vielleicht, doch mutig.

Im Hof – weißt du noch?

Am 31.10. ist ein Jahr vergangen seit dem Tag im Jahr 2024, an dem unser Freund und Gefährte Kyriakos Xymitiris am Nachmittag in einem Apartment in der Arkadias Straße, Athen, sein Leben verliert. Als anarchistischer Revolutionär, der den bewaffneten Kampf wählte, stirbt er, durch die Explosion einer Bombe in seinen Händen. Durch die Explosion wird unsere Freundin und anarchistische Gefährtin Marianna Manoura schwer verletzt. Sie wird aus den Trümmern der Wohnung geborgen, ins Krankenhaus gebracht, mehrfach operiert und nach nur fünfzehn Tagen – einen Tag nach einer Operation – ins Gefängnis von Korydallos transportiert. Seit dem 31.10.2024 wird sie vom griechischen Staat gefangen gehalten. Auch unsere anarchistische Freundin und Gefährtin Dimitra Zarafeta, Dimitris, Nikos Romanos und eine weitere Person werden in den folgenden Tagen und Wochen verhaftet, im Gefängnis von Korydallos inhaftiert und mit dem Anti-Terrorismusparagrafen des griechischen Staates §187a konfrontiert.

An diesem Nachmittag des 31.10.2024 verändern sich unsere Leben, innerhalb von Sekunden. In den darauf folgenden Tagen bahnen sich die Nachrichten und die verschiedenen Gefühle, die durch sie ausgelöst werden, ihren Weg durch Berlin: Schock, das Einprasseln tausender Gedanken, Gefühle und Bilder. Tränen, das Schnappen nach Luft, ein Schmerz, der den Körper einnimmt – das Unbegreifbare nicht verstehen wollen. Freund:innen, Gefährt:innen, Wegbegleiter:innen, bekannte und unbekannte Gesichter kommen zusammen. Wir treffen uns und weinen.

Was sind das für Zeiten, in denen unter Anderen auch du, Kyriakos, dein Leben in deine Hände nahmst und das Risiko wagtest? In denen du nichts weniger, als alles gefordert hast?

Diese Frage erinnert uns daran, dass wir uns vor vier Jahren, (https://rigaer94.squat.net/2021/05/31/auf-welcher-seite-stehst-du/) vor dem Versuch durch Leonid Medved, des Senats und ihrer Bullen, die Rigaer94 mithilfe einer Brandschutzbegehung zu räumen, ähnliche Fragen stellten: „Wieso jetzt angreifen, wieso jetzt das Risiko wagen, wieso jetzt Gefahr laufen, ein weiteres Mal überrollt zu werden?“ 2020 und 2021 waren die Jahre der Corona-Pandemie, die weltweit mit zunehmendem Autoritarismus staatlich verwaltet wurde. Hier in Berlin beobachteten wir, wie der Ausnahmezustand der Isolierung innerhalb der Gesellschaft diente und die dystopische Entwicklung dafür notwendiger technologischer Instrumente boomte. Gleichzeitig befanden wir uns in einer Zeit größerer und kleiner Aufstände und Revolten, lokal aber vor allem global gesehen. In diesem Kontext sahen wir die Notwendigkeit, für Selbstorganisierung, kollektive Räume und gegen die Verwertung von Wohnraum, unseren kleinen Teil zu den Kämpfen weltweit beizutragen zu wollen. Mit einer temporären autonomen Zone am 16. und 17. Juni 2021 wurde das in die Tat umgesetzt. Vier Jahre später – angesichts steigender Wohnungslosigkeit und täglicher Zwangsräumungen, der autoritären bis faschistischen Formierungen der Krisen, der Brutalität des Krieges der Machthabenden und Besitzenden gegen die Besitzlosen und Unterdrückten bis zu dem live geschalteten Genozid am palästinensischen Volk, – scheint es manchmal zum Greifen nahe, Perspektive, Verstand und Sinn zu verlieren. Wie also weiter?

Mit Hoffnung, rufen die einen. Mit Wut, die anderen. Indem wir die Erinnerung an die Vergangenheit bewahren, die Gegenwart von ihr nähren, um für die Zukunft zu kämpfen, die nächsten. Indem wir es wagen, zu träumen. Indem wir füreinander da sind und Gemeinschaften bilden. Indem wir analysieren, was uns umgibt, diskutieren, uns weiterbilden und uns selbst organisieren. Hier, in einem der kapitalistischen Zentren des imperialen Westens, tragen wir die Verantwortung, für einen Umsturz dieser mörderischen Verhältnisse einzustehen und nie damit aufzuhören. Dabei sind die Methoden in diesen Kämpfen so vielfältig wie die Menschen selbst, mit unterschiedlichen Risiken und Entscheidungen. Die verschiedenen Wege werden sich dabei immer wieder kreuzen. Gemeinsam bilden sie ein Geflecht an Pfaden, die uns zu einem anderen Ort führen, an dem wir uns wieder treffen können. Zu einem Ort, an dem unsere Beziehungen zueinander nicht mehr von Unterdrückung, Ausbeutung, Konkurrenz oder Macht geprägt sind. An einem Ort der Würde, der Freiheit, Solidarität und Selbstbestimmung. Ein Ort einer Welt, an dem kein einziger Mensch mehr aus anderen Gründen als an dem Kreislauf des Lebens sterben muss.

Kyriakos, zu früh hast du einen Platz neben vielen anderen Menschen eingenommen, zu früh bist du gegangen. Dein Tod hinterlässt eine große Lücke. Wir widmen dir diese Zeilen, die über das letzte Jahr gewachsen sind. Sie versuchen einen kleinen Teil davon in Worte zu fassen, wie wir dir erinnern. Gleichzeitig gibt es nicht genügend Worte, um die Trauer und den Verlust zu beschreiben, wenn uns jemand verlässt. Unsere Gemeinschaft hier hat sich immer wieder verändert, einige von uns haben mit dir Alltag geteilt, gekämpft, gelacht und geweint während andere dich nicht kennenlernen konnten. Es ist unsere Aufgabe, durch Erzählungen die Erinnerung an dich lebendig bleiben zu lassen. Wir erinnern dich als einen unermüdlichen Kämpfer, als Freund, als Gast und Teil unserer Gemeinschaft. Du warst aufmerksam und liebevoll. Voller Humor und Respekt. Du hast dich eingebracht, wo du konntest. Wir erinnern dein spätes Abendessen, wie du in der Küche standest und wer dabei den Salat gemacht hat. Wir erinnern dein Räuspern, dein Husten, die nächste Kippe. Wir erinnern die Diskussionen und Streits mit dir, deine Beiträge für den interkiezionalen Kampf, der die verschiedenen Kultur- und Wohnprojekte dieser Stadt miteinander verband. Wir erinnern dich als jemanden, der sich der Probleme und Gedanken seiner Freund:innen und Gefäht:innen annahm und auch wusste, sie zu seinen eigenen zu machen, um nach Lösungen zu suchen. Du brachtest die Menschen zusammen statt dich im Strom der Metropole zu verlieren. Gemeinsam und voneinander lernten wir den vielseitigen anarchistischen Kampf, mit Höhen und Tiefen.

Kyriakos, wir versprechen dir und uns allen, wir werden dich nicht vergessen. Wir versprechen dir, dass unser Schmerz und unsere Tränen dem Strom unserer Kämpfe zufließen werden, der uns eines Tages zu der Welt führt, von der wir noch zusammen träumten, für die du das Risiko gewagt und dein Leben gegeben hast.

Mit unendlich starker Liebe, Wut und geballter Faust rufen wir bis über die Mauern von Korydallos:
Freiheit für alle Gefangenen!

Kyriakos Xymitiris – immer hier!

Bis bald, Gefährte, Freund.
Rigaer94

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Demanding nothing less than everything – In memory of Kyriakos Xymitiris.

If the streets of here could speak,
they would tell about discussions, accompanied by the blue smoke of tobacco,
and sit in a plastic chair with slippers.

If the streets of here could speak,
then they would tell the story of struggling projects with your voice, of self-organization
and the breadth of a movement
before, during and after the „war against the virus“ set out to shape life in the metropolises.

If the streets of here could speak,
then they would tell of how you took the Phoenicurus ochruros into your hands
and how you united to defend this place with all your heart and both hands.

If the trees of here could speak,
then they would tell of how their leaves shone in the lurking light of the garden,
while, with the love on your shoulders, in or alongside the beat of the driving music,
you called into the evening sky

If the trees of here could speak,
then they would tell of everyday life, of the enjoyment of coffee, a late night meal, and of the many doors,
connecting the spaces of community with the ones of a quiet moment.

If the trees of here could speak,
then they would tell of how you took the fire extinguisher firmly in your hands
with trembling hands, perhaps, but courageously.

In the courtyard – do you remember?

October 31 marks one year since the day in 2024 when our friend and comrade Kyriakos Xymitiris lost his life in the afternoon in an apartment on Arkadias Street, Athens. He died as an anarchist revolutionary, who chose armed struggle, when a bomb in his hands exploded. The explosion seriously injured our friend and anarchist comrade Marianna Manoura. She was rescued from the rubble of the apartment, taken to the hospital, underwent multiple surgeries, and after only fifteen days—one day after another surgery—was transported to Korydallos prison. Since October, 31st 2024 she remains imprisoned by the Greek state. Our friend and anarchist comrade Dimitra Zarafeta, Dimitris, Nikos Romanos, and another person, are also arrested in the following days and weeks, imprisoned in Korydallos prison and confronted with the anti-terrorism law §187a.

On this afternoon of October 31, 2024, our lives change within seconds. In the days that follow, the news and the various emotions it triggers make their way through Berlin: shock, the flood of a thousands of thoughts, feelings, and images. Tears, gasping for air, a pain that takes over the body – not wanting to understand the incomprehensible. Friends, comrades, companions, familiar and unfamiliar faces come together. We meet and cry.

What kind of times are these when you, Kyriakos, amongst others took your life into your own hands and took the risk? When you demanded nothing less than everything?

As we ask this question, we remember that four years ago (https://rigaer94.squat.net/ 2021/05/31/auf-welcher-seite-stehst-du/), before the attempt of Leonid Medved, the Senate and their cops to evict Rigaer94 with the help of a fire security inspection we have asked ourselves a similar question: “Why attack now, why take the risk now, why run the danger of being overrun once again?” 2020 and 2021 were the years of the coronavirus pandemic, which was managed by governments worldwide with increasing authoritarianism. Here in Berlin, we observed how the state of emergency served the isolation within society and how the dystopian development of the necessary technological instruments boomed. At the same time, we found ourselves in a period of major and minor uprisings and revolts, both locally and, above all, globally. In this context, we saw the need to contribute our small part to the struggles worldwide for self-organization, collective spaces and against the capitalization of living space. This was put into practice with a temporary autonomous zone on June 16 and 17, 2021. Four years later – in the face of increasing homelessness and daily forced evictions, the authoritarian to fascist formations of crises, the brutality of the war waged by those in power and the rich against the dispossessed and oppressed up to the live broadcasted genocide against the Palestinian people – it sometimes seems within reach to lose perspective, reason, and meaning. So what next?

With hope, some say. With anger, others. By preserving the memory of the past, nourishing the present with it, in order to fight for the future, the next. By daring to dream. By being there for each other and forming communities. By analyzing what surrounds us, discussing, educating ourselves, and selforganizing ourselves. Here, in one of the capitalist centers of the imperial West, we have a responsibility to stand up to overthrow these murderous conditions and to never stop. The methods used in these struggles are as diverse as the people themselves, with different risks and decisions. While these different ways will cross again and again. Together, they form a network of paths that lead us to another place, where we can meet again. To a place where our relationships with each other are no longer shaped by oppression, exploitation, competition, or power. To a place of dignity, freedom, solidarity, and self-determination. A place in a world where not a single person has to die for reasons other than the circle of life.

Kyriakos, you took your seat next to many other people too soon, too soon you left us. Your death leaves a huge void. We dedicate these lines to you, which have grown over the last year. They attempt to put into words a small part of how we remember you. At the same time there are not enough words, to describe the grief and the loss, when someone leaves us. As our community here is constantly changing, some of us shared everyday life with you, fought, laughed, and cried, while others never had the chance to get to know you. It is our task to keep your memory alive through stories. We remember you as a tireless fighter, as a friend, as a guest, and as part of our community. You were attentive and loving. Full of humor and respect. You contributed wherever you could. We remember your late dinners, how you stood in the kitchen, and who made the salad. We remember your clearing your throat, your coughing, the next cigarette. We remember the discussions and arguments with you, your contributions to the struggle of Interkiezionale that connected the various cultural and housing projects in this city. We remember you as someone who took on the problems and thoughts of his friends and comrades and also knew how to make them his own in order to search for solutions. You brought people together instead of loosing yourself in the flow of the metropolis. Together and from each other, we learned the multifaceted anarchist struggle, with its ups and downs.

Kyriakos, we promise to you and all ourselves, we will not forget you. We promise you that our pain and tears will flow into the stream of our struggles that will one day lead us to the world we dreamed of together and for which you took the risk and gave your life.

With our deepest love, anger and a clenched fist, we shout over the walls of Korydallos:
Freedom for all prisoners!

Kyriakos Xymitiris – for ever present!

See you soon, comrade, friend.
Rigaer94

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